8. Eintrag: 10. September

Wir können es alle nicht mehr abwarten endlich loszufahren. Es ist kein Schiff mehr in der SAR-Zone und wir werden wie schon erwähnt dringend gebraucht. Wer sich gerade auf den Weg macht, wird von der Libyschen Küstenwache aufgegriffen oder ertrinkt vermutlich. Nicht wenigen ist zweites lieber, wir hören immer wieder: „Bevor ich zurück in die Hölle in Libyen muss, ertrinke ich lieber im Mittelmeer.“

In den letzten Tagen haben wir noch einige Dokumente für die Hafenkontrolle erstellen müssen, Bürokratie..
Wir hoffen morgen endlich loszufahren und werden uns dann direkt auf den Weg in die SAR-Zone von Libyen machen. Mit der ALAN KURDI fahren wir dann Tag und Nacht durch und teilen uns dafür die Wachschichten auf. Nur für weitere Trainings halten wir dann an, um so gut vorbereitet zu sein wie nur eben möglich. 

In den nächsten Tagen auf der Überfahrt Richtung SAR-Zone werde ich euch unsere Crew vorstellen und die einzelnen Positionen erklären. Hier schon mal eine kurze Übersicht:

Unsere professionelle Crew besteht aus Kapitän Joachim, dem ersten Offizier Josh, dem zweiten Offizier Thorsten, dem Maschinisten Simon und den Seefahrer*innen Richard, Edward, Steffi und Eloy.

Die Volunteers sind der Einsatzleiter Stefan, RHIB-Fahrer Christian, RHIB-Leader Corvin, RHIB-Kommunikator Jonas, das medizinische Team Ben und Thomas, der Media Coordinator Joris, die Köchin Vera, die beiden freiwilligen Maschinisten Albert und Dietmar und meine Wenigkeit als Menschenrechtsbeobachter. Komplettiert wird die Crew von der Journalistin Marta.

Heute morgen haben wir ein medizinisches Training gemacht, das von Ben und Thomas geleitet wurde.
Ben ist Arzt, kommt aus der Nähe von Heidelberg und hat in den letzten Jahren als Kardiologe gearbeitet. Unterstützt wird er von Thomas, der Medizin in Mainz studiert und schon viel Erfahrung als
Notfallsanitäter hat. Die beiden sind wirklich super sympathisch und kompetent (soweit ich das als Nicht-Mediziner beurteilen kann) und haben sich in den letzten Tagen schon gut einspielen können. So kennen sie sich schon gut in unserem „Hospital“ aus und konnten uns eine gute Einführung geben. Jede*r von uns sollte im Zweifel die medizinischen Basics wie stabile Seitenlage drauf haben, um die beiden unterstützen zu können, wenn wir mehrere Notfälle gleichzeitig haben.


Thomas (l) und Ben

 

Medizinisches Training

Eine sehr verbreitete Verletzung von Geflüchteten sind sogenannte „Fuel Burns“. Die Mischung aus Benzin und Salzwasser ist sehr ätzend und kann schwerwiegende Verbrennungen hervorrufen.

Unsere medizinische Ausstattung an Bord ist natürlich nur für die Erstversorgung geeignet, sodass wir hier nicht operieren können oder Ähnliches. Wir können aber Patienten in kritischem Zustand vorübergehend versorgen bis eine medizinische Evakuierung möglich ist. Hoffentlich wird das nicht nötig sein.

Nach dem medizinischen Training haben wir nochmal ein Rettungs-Training gemacht. Die beiden RHIBs sind rausgefahren und haben verschiedene Manöver trainiert. Währenddessen haben wir an Bord ein Decktraining gemacht und das Ankommen der Geretteten geübt. Wir verteilen an alle ein Armband mit einer Nummer, die sie die ganze Zeit an Bord behalten. So können wir medizinische Dinge zu den Personen festhalten. Außerdem nehmen wir ihnen Dinge wie Feuerzeuge, Glas, Messer, etc. ab und geben diese anhand der Nummer am Ende der Mission zurück – bis auf Waffen natürlich. Menschen mit Verletzungen werden dann vom medizinischen Team versorgt.


Registrierung der Ankommenden

Das Training lief sehr gut und wir sind wirklich zufrieden gewesen.

Heute Abend habeich ein bisschen erzählt, wie ich über die Mission berichte, also in diesem Blog und über unsere Homepage - zusätzlich zu den Berichten, die ich in meiner Position als Menschenrechtsbeobachter schreibe.

Außerdem haben wir über die Entwicklung der Seenotrettung geredet. 2015 ist noch ca. jeder 30. Mensch auf der Flucht übers Mittelmeer ums Leben gekommen, 2019 war es ca. jeder 6.

https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlingsroute-unhcr-101.html

Auch wenn die Zahlen natürlich nur Schätzungen sind, finde ich das extrem erschreckend und wir haben länger darüber geredet woran das liegt.

Zum Einen werden die Boote, die für die Überfahrt von Schleppern bereit gestellt werden immer unstabiler und schlechter. Zum Anderen gibt es einfach viel weniger Boote, die im Einsatz sind. NGOs werden regelmäßig blockiert, staatliche Seenotrettung wurde längst eingestellt und Handelsschiffe fahren Umwege, damit sie nicht retten müssen. Am aktuellen Beispiel der Maersk Etienne sieht man, wie die europäischen Staaten sie dazu bringen.

Das dänische Handelsschiff hat vor über 4 Wochen 27 Menschen vor dem Ertrinken gerettet, wie es internationale Pflicht ist. Seitdem lässt Italien sie die Menschen nicht ausschiffen und lässt sie im Mittelmeer warten. Dieser lange Standoff ist nicht nur extrem strapazierend für die gesamte Crew und vor allem die Geretteten sondern er kostet die Reederei Maersk auch extrem viel Geld. Daher überlegen sich andere Schiffe zweimal ob sie wirklich eine Rettung durchführen oder lieber einen Umweg fahren oder wegschauen, wenn ein Boot in Seenot gerät.

Vor der Media Minute war ich mit dem Kochen dran und habe zusammen mit Vera Curry gekocht. Das Essen ist bisher wirklich sehr lecker. Morgens gibt es Müsli und Toast und mittags und abends kochen wir warm.

Auf dem Bild sieht man wie gut es Albert heute geschmeckt hat:


 
Albert beim Knoten

Albert kommt aus Mallorca und hat in Barcelona Nautik studiert. Er ist also auch professioneller Seemann und hat viel Erfahrung auf Schiffen. Da die professionelle Crew aber schon besetzt war, fährt er als freiwilliger Maschinist mit. Während der Rettungen steuert er den Kran, mit dem wir die RHIBs zu Wasser lassen.
Albert ist ein super cooler Typ, mit dem ich mich blendend verstehe und der mich schon nach Mallorca eingeladen hat. Vielleicht muss ich da doch mal hin :)

Welche Daten dokumentierst du denn alles? Ist das ein Überblick über die Flüchtlinge an Board oder eher eine Zusammenfassung der durchgeführten Rettung? Werden die Daten für statistische Zwecke genutzt?

In meiner Position als Menschenrechtsbeobachter dokumentiere ich verschiedene Dinge. Die wichtigste Aufgabe ist der Rescue Report von jeder Rettung. Da schreibe ich alles mit was passiert, halte Position und Zeit fest und fertige daraus nachher am PC einen ausführlichen Bericht an. So können wir jederzeit genau belegen, wie die Rettung abgelaufen ist etc. Ich halte auch einiges von der Brücke mit der Kamera fest, auch wenn Joris mit mehreren GoPros und seiner Kamera den Großteil der Dokumentation übernimmt. Außerdem nehme ich Funksprüche etc. mit einem Recorder auf, um alles genauestens nachweisen zu können.

Nach der Rettung, wenn die Gäste an Bord angekommen sind und wir evtl. noch ein paar Tage im Standoff sind, versuche ich einen Fragebogen mit den Geretteten durchzuführen, um ihre Erfahrungen und Hintergründe festzuhalten – natürlich alles anonymisiert. Für uns ist es extrem wichtig und interessant genauer festzuhalten, was die Menschen erlebt haben, die bei uns an Bord sind – natürlich auch nur dann, wenn sie darüber reden wollen. Da wird viel Fingerspitzengefühl gefragt sein.

Außerdem schreibe ich schon seit Ankunft in der Werft „Daily Reports“ mit den wichtigsten Vorkommnissen und Tagesabläufen. Das kann der Crew nachher als Erinnerung dienen, aber vor allem können wir so in der Nachbesprechung jederzeit nachvollziehen, wann was passiert ist. Das ist nicht direkt in meiner Rolle vorgesehen, aber da ich eh versuche den Überblick zu halten und das Kommunikationsteam von Sea-Eye auf dem Laufenden halte, finde ich das eine sinnvolle Sache.

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