10. Eintrag: 12. September

 

Wir sind jetzt seit etwas mehr als einem Tag auf See und es fühlt sich schon viel länger an. Die erste Nacht war sehr entspannt, das Boot ist viel hin und her und hat mich damit in den Schlaf geschaukelt.

Heute war Putztag und Waschtag für die Freiwilligen. Putztag bedeutet, dass wir Freiwilligen das Schiff innen gesäubert haben und die professionelle Crew hat die Außendecks geschrubbt. Übrigens besteht die Unterscheidung der Crew wirklich nur in den Aufgaben, ansonsten sind wir eine Crew – das empfinde ich als wirklich sehr schön und das ist mit Sicherheit sehr hilfreich. Auch unser Kapitän Joachim bringt sich viel ein und lässt uns bei vielem freie Hand. Im Ernstfall gibt es aber natürlich eine klare Hierarchie – das ist wichtig und allen klar.
Das Waschen teilen wir uns auf, an manchen Tagen darf die Profi-Crew ihre Wäsche waschen, an anderen (Mittwoch und Samstag) wir Freiwilligen und an wieder anderen werden Handtücher, Lappen etc. gewaschen.
Ich hatte heute gleich zwei Wachen. Da wir rund um die Uhr fahren, müssen sowohl die Maschine als auch die Brücke durchgängig besetzt sein. Dafür gibt es jeweils 4 Stunden Schichten.

In der Maschine übernimmt Simon die Schichten von 4 – 8 Uhr (und damit auch 16 - 20), Albert die Schichten von 8 – 12 und Dietmar die Schichten von 0 – 4. Da Simon Chief Engineer ist, durfte ich sich das aussuchen.
Auf der Brücke übernimmt bei Berufsschiffen eigentlich immer der erste Offizier die Schichten von 4 – 8, der zweite Offizier von 0 – 4 und der dritte Offizier von 8 – 12. Da wir nur zwei Offiziere haben, übernimmt unser Kapitän Joachim die Schichten von 8 – 12.

 

Wir Freiwilligen werden dann zusätzlich auf der Brücke als „Ausguck“ eingeteilt. Heute hatte ich gleich zwei Schichten mit Thorsten, unserem zweiten Offizier. Von 12 – 16 Uhr haben wir die Mittagsschicht gemacht und gerade sitze ich mitten in der Nacht mit ihm auf der Brücke.
Thorsten kommt aus Witten und ist bis 2015 10 Jahre auf großén Handelsschiffen mitgefahren. Über die NGO Mission Lifeline kam er dann zu Sea-Eye und ist gerade auf seiner zweiten Mission für Sea-Eye. Ich habe in den beiden Schichten schon sehr viel über das Schiff und die Technik gelernt.

Es ist super spannend zu verstehen wie das Schiff funktioniert, was wie verbunden ist, etc. Für mich ist es besonders spannend die Geräte etc. mit der Ausstattung von Segelbooten zu vergleichen und mein Wissen aus den Sportbootsscheinen anzuwenden. Ich war gestern schon zwei Mal kurz im Maschinenraum und lasse mir die Tage oder spätestens in der Quarantäne auch mal den Maschinenraum von Simon erklären. Dann also noch mehr dazu :)

Heute nachmittag gab es zu erst ein Decktraining, das ich aufgrund meiner Schicht verpasst habe, und danach haben wir uns mit der wahrscheinlichen Stand-Off-Situation beschäftigt, also wenn Italien oder Malta nicht sofort einen sicheren Hafen zuweisen. Das wird die herausforderndste und anstrengendste Etappe unserer Reise. Eine Rettung dauert im Zweifel vllt so 2 Stunden. Das Stand-Off kann aber auch bis zu 2 Wochen dauern. Klar, dass 2 Wochen mit einer großen Zahl an Geretteten große Risiken mit sich bringen. Insbesondere für die Menschen, die gerettet werden ist es unverantwortlich, dass sie Tage lang mit ihren Verletzungen, Traumata etc. auf See ausharren müssen – aber gut, das liegt leider nur bedingt in unserer Hand. Für uns steht nur fest, dass wir die Menschen nicht zurück nach Libyen bringen, da Libyen nicht sicher ist – für niemanden.

Während des Stand-Offs wird es dann viele logistische Probleme (Essensausgabe, medizinische Versorgung, Duschen etc.) geben. Am schwierigsten wird es aber wohl werden unsere Gäste ruhig zu halten und ihnen klar zu machen, dass wir sie in Sicherheit bringen werden. Wenn tagelang keine Lösung in Sicht ist, kann ich gut verstehen, dass sie dann skeptisch werden.
Das wird eine Aufgabe, die wir nur mit guter Kommunikation und einem großen Teamgeist meistern können, gut dass die Crew schon so gut zusammengewachsen ist. In der Zeit werde ich dann auch nicht so viel Zeit zum Schreiben haben, das hole ich dann aber in unserer Quarantäne später nach
Heute abend haben wir mit ein paar Leuten Gitarre gespielt und gesungen und auch ein bisschen überlegt, welche Lieder die Gäste vllt kennen könnten oder welche man ihnen auch beibringen kann. Die Gitarre, genauso wie Spielkarten, werden in der Standoff-Zeit sehr praktisch werden, da wir unsere Gäste so gut beschäftigen können.

All das natürlich nur, wenn wir überhaupt eine Rettung haben, worauf wir uns eben vorbereiten. Es kann wie schon erwähnt auch passieren, dass wir kein Boot aus Seenot retten können/müssen. Das halte ich im Moment aber für sehr wahrscheinlich.

Das Rettungsschiff Open Arms von unseren spanischen Freunden Proactiva hat gestern eine dritte Rettung in 2 Tagen durchgeführt und nun 267 Menschen an Bord. Das zeigt, dass es einige Boote gibt, die im Moment die gefährliche Überfahrt wagen.
Die 27 Menschen von der Maersk Etienne wurden übrigens gestern von dem Schiff „Mare Jonio“ gerettet. Ich bin nicht sicher, ob ihr das mitbekommen habt, in den Medien kommt das Thema ja kaum vor.
Das Handelsschiff hatte vor 39 (!) Tagen die Menschen gerettet und seitdem keinen Sicheren Hafen von Italien zugesprochen bekommen. Die Italiener wollten damit vermutlich für andere Handelsschiffe ein Exempel statuieren. Die meisten Handelsschiffe fahren mittlerweile große Umwege, um nicht retten zu müssen.

Zum Schluss möchte ich euch neben Thorsten nun noch Richard vorstellen. Richard wohnt mit seiner Familie in Accra, Ghana, und ist schon auf so viele Rettungsmissionen mitgefahren, dass er nicht mehr mitzählt. Bevor er zu Sea-Eye kam, ist er 2 Jahre lang für SOS Mediteranée auf der Aquarius mitgefahren. Während der Rettungen übernimmt er den Job des RHIB-Kommunikators auf RHIB 1. Richard ist ein super fröhlicher Mensch, dem man seine Erfahrung und Routine sofort anmerkt. Wirklich ein klasse Typ.

Mittlerweile sind die Wellen teilweise deutlich höher und die ersten merken, dass es ihnen mulmig wird, bisher hält es sich aber in Grenzen. Ich komme bisher zum Glück super klar und mir macht es sehr viel Freude, mich an Deck zu bewegen und zu merken, dass wir vorankommen.

Heute nach dem Abendessen haben wir an Deck Yoga/Workout gemacht, das hat gut getan und war spannend bei der ganzen Bewegung.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

22. September: 3. Tag im Standoff

Das Warten hat ein Ende!

Lese- und Video-Empfehlungen